Bastian Gierull, CEO Octopus Energy
Das Narrativ ist schnell gestrickt: Künstliche Intelligenz ist eine Bedrohung, die ganze Berufsfelder abschafft und den Menschen das Denken abtrainiert. Viel zu selten spricht man dabei über die Kehrseite, die gewaltigen Chancen, die intelligente Technologie mit sich bringt. Gerade bei großen Herausforderungen wie der Energiewende erreichen wir heute Meilensteine, auf die wir ohne technische Hilfe noch Jahrzehnte hätten hinarbeiten müssen – eine Zeitersparnis, die wir mit Blick auf das rasante Voranschreiten des Klimawandels gut gebrauchen können.
Beim Umstieg auf E-Autos stehen wir zum Beispiel vor der Frage, wie wir den zunehmenden Bedarf an Ladestrom in Deutschland bedienen, während wir auf günstige, aber volatile erneuerbare Energien umsteigen. Eine Lösung sind dynamische Stromtarife, die unterstützt durch intelligente Software Ladevorgänge optimieren. Sie helfen dann zu laden, wenn viel grüner Strom im Netz ist, und glätten Lastspitzen, wenn das Stromnetz besonders beansprucht wird. Tausende von E-Autos, die alle gleichzeitig zum Feierabend angesteckt werden, werden zu steuerbaren Verbrauchern, die dann Strom abnehmen, wenn er am günstigsten ist und das Netz ihn liefern kann. Wann das ist, hängt von Faktoren wie der örtlichen Netzauslastung, dem Wetter, der Jahreszeit und vielem mehr ab: Eine ideale Steuerung ist für einen Menschen unmöglich, mit der richtigen Technologie aber ein Kinderspiel. Sie bewältigt die ständig wachsende Zahl an Verbrauchern wie E-Autos oder Wärmepumpen genauso wie die immer stärker verstreute Produktion von Strom, also tausende von Solaranlagen und Windkraftwerken. So bleibt das Netz nicht nur stabil, sondern wird auch deutlich effizienter und kann an vielen Stellen den kostspieligen Ausbau von Reservekapazitäten im Netz überflüssig machen.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet das vor allem, dass sie sich um nichts mehr kümmern müssen und keine Unsicherheiten über die Ladekosten haben. Die Technologie übernimmt die Steuerung unter Berücksichtigung ihrer vorab festgelegten Ladepräferenzen und optimiert dabei so, dass Kundinnen und Kunden die bestmögliche Ersparnis erzielen. Gerade Elektrofahrzeuge, die oft mehr Strom verbrauchen als ein Zwei-Personen-Haushalt, bieten eine intelligente Möglichkeit zur Flexibilisierung des Stromverbrauchs.
Ein einfaches Beispiel für die Einsatzmöglichkeiten von Energie-Flexibilisierung ist der dynamische E-Auto-Tarif “Intelligent Octopus Go”. Dafür stecken Kundinnen und Kunden ihr E-Auto an die Wallbox und geben an, wann dieser am nächsten Tag wieder vollgeladen sein soll. Bei jedem Ladevorgang verbindet sich der Ladeservice mit dem Auto und erstellt einen individuell angepassten Ladeplan. Datenpunkte wie die Preis- oder auch Wettervorhersagen, aber auch der Ladezustand des Autos werden für die Optimierung des Ladevorgangs herangezogen. Außerdem orientiert sich Intelligent Octopus am aktuellen Anteil von Grünstrom im Netz. Die Software optimiert anschließend den Ladeprozess im Hintergrund – ohne menschliche Hilfe. So erhalten die Kundinnen und Kunden Strom zu einem festen Niedrigpreis.
Ein weiterer Pluspunkt: Dynamische Tarife können die Integration von E-Autos in Demand-Response-Programme erleichtern und sie zu wertvollen Assets für das Netzmanagement machen. Durch bidirektionale Kommunikation zwischen Fahrzeugen und dem Netz können EVs ihre Laderaten in Echtzeit an Netzsignale anpassen und so zur Ausbalancierung von Angebot und Nachfrage beitragen. Vereinfacht: Netzbetreiber informieren Energieversorger, wenn Engpässe anstehen und bezahlen sie dafür, die Ladevorgänge aus diesen Zeitfenstern heraus zu verlagern. Den Erlös daraus geben Energieversorger wie wir wieder zurück an Kundinnen und Kunden – der Strompreis sinkt nochmal.
Ein Blick auf die Möglichkeiten von intelligent gesteuerten E-Mobilitätslösungen zeigt: Das Potenzial von dynamischen Tarifen und Ladesystemen ist unschlagbar! Durch die Nutzung smarter Technologie bieten dynamische Tarife einen Weg zur Netzoptimierung, zur verstärkten Integration erneuerbarer Energien und zur erhöhten Flexibilität bei der Verwaltung des Ladens von E-Autos. Indem wir heute schon das Potenzial dieser Ladelösungen nutzen, beschleunigen wir nicht nur den Übergang zu nachhaltiger Mobilität, sondern ebnen auch den Weg für eine intelligentere, widerstandsfähigere Energiezukunft.
Der Autor Bastian Gierull ist seit Juli 2023 CEO bei Octopus Energy Germany. In seiner Rolle als Deutschland-Chef hat er sich vorgenommen, gemeinsam mit Octopus Energy den deutschen Energiemarkt zu revolutionieren. Als ehemaliger Director of Product, Marketing und Technology begleitet Bastian Gierull Octopus Energy seit dem deutschen Markteintritt im Jahr 2020. Davor trieb er als Marketing- und Product Manager Unternehmen in der eCommerce- und Telekommunikationsbranche voran und gründete auch seine eigenen Start-ups.
