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Dekarbonisierung der Luftfahrt: Nachhaltig abheben

Fliegen gilt als die umweltschädlichste Form der Mobilität. In der Vergangenheit oft wegen der Lärmbelastung kritisiert, steht heute vor allem die CO₂-Emission im Mittelpunkt. Die AERO in Friedrichshafen, eine der internationalen Leitmessen der Luftfahrtbranche, zeigte erste Entwicklungen für nachhaltigeres Fliegen.

Der Autor Mathias Warlich hat für das Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften (www.forum-csr.net) den Stand der Dinge skizziert. Sie finden diesen Beitrag ebenfalls im aktuellen eMove360° Magazin kostenlos zum Downloaden.

Neu ist das Thema Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung in der Luftfahrt nicht. Bereits 2009 hatten Fluggesellschaften, Hersteller, Flugsicherung und Flughäfen eine Klimaschutzstrategie zur Steigerung von Treibstoffeffizienz verabschiedet. 2016 wurde von der UN-Luftfahrtorganisation (ICAO) ein weltweit gültiges CO₂-Kompensationssystem (CORSIA) eingerichtet, wodurch der Luftverkehr ab 2020 zumindest klimaneutral wachsen soll, und 2021 wurde das Ziel formuliert, für den weltweiten Flugverkehr „Net Zero in 2050“ zu erreichen. Abgesehen von Zielsetzungen und Regulierungen gibt es, wie in anderen Branchen auch, nachhaltigkeitsmotivierte Pioniere, die mit hohem Engagement an vielversprechenden, alternativen Luftfahrtideen arbeiten. Erstmalig präsentierte die AERO auf dem Sustainable Aviation Trail vielversprechende Entwicklungsrichtungen für umweltfreundliches Fliegen.

BATTERIEN UND ELEKTROANTRIEB
Es gibt sie bereits – bisher jedoch nur als Zweisitzer und mit Flugzeiten unter einer Stunde. Werden sie mit regenerativ hergestelltem Strom betankt, ist der Flug nicht nur komplett emissionsfrei, sondern auch deutlich leiser. Allerdings ist eine Skalierung zur Verwendung von batteriebetriebenen Elektroantrieben in großen Verkehrsflugzeugen nach aktuellem Stand der Technik nicht möglich. Die erreichbaren Flugzeiten sind zu gering und die notwendigen Batterien zu schwer. Für bestimmte Anwendungen allerdings ist der Elektroantrieb schon heute gut einsetzbar, beispielsweise in den verkehrsverstopften Metropolen der Welt sowie für Kurzstrecken und an schwer zugänglichen Orten. Bei den elektrobetriebenen Kleinflugzeugen und Helikoptern gibt es nämlich verschiedene Formen des Senkrechtstartens, wie man es von Drohnen kennt. In der Fachsprache wird das eVTOL (electric Vertical Take-Off and Landing) genannt. Aus Nachhaltigkeitssicht haben eVTOLs den zusätzlichen Vorteil, dass eine aufwändige Infrastruktur am Boden für Landebahnen, Straßen und Schienen, Brücken und Tunnels nicht notwendig ist. Das Start-up FlyNow Aviation aus Salzburg, betont sogar einen sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit seiner Fluggeräte. CEO Jürgen Greil ist überzeugt, dass sich das Flugtaxi durchsetzen wird, wenn es der Allgemeinheit dient und nicht nur Geschäftsreisenden und Vermögenden: „Das Auto hat sich nicht etabliert, weil der perfekte Mercedes gebaut wurde, sondern durch den für alle erschwinglichen Käfer von Volkswagen.“  Drohnen sind ja bereits im Massenmarkt angekommen. Unter dem Titel „Drohnen im Dienst der Gesellschaft“ widmet die AERO diesen Fluggeräten im BOS-Einsatz (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) einen eigenen Bereich. Diese Plattform ist von großer Bedeutung für alle Stakeholder – vor allem für die Flugsicherung und zur verbindlichen Regulierung dieser neuen Verkehrsteilnehmer der Lüfte.

EFFIZIENZSTEIGERUNG UND TREIBSTOFFINNOVATIONEN
Effizienzsteigerungen beim Fliegen erfolgen durch Reduzierung des Gewichts, neue Materialien sowie durch Verbesserungen der Triebwerke und der Aerodynamik. Direktere Flugstrecken,
Verminderung von Warteschleifen und die Optimierung der Wartezeiten am Boden gehören ebenfalls dazu. Vor allem beim Treibstoff ist noch viel Luft nach oben. Es ist kaum zu glauben, dass die vor 40 Jahren beim Auto umgesetzte Transformation zu bleifreiem Kraftstoff in der Luftfahrt erst jetzt stattfindet. Und auch das CO₂ ist nur ein Teil der Schwefeldioxyd und Wasserdampf in den Kondensstreifen haben ebenfalls eine extrem klimaschädliche Wirkung in der Atmosphäre. Deshalb gibt es neue Ansätze für die Herstellung von nachhaltigen Luftfahrttreibstoffen, so genannte SAF – Sustainable Aviation Fuels wie etwa Bio-Kerosin, Power-to-Liquid- (PtL) oder Sunto-Liquid- (StL)-Treibstoffe. Erschwerend bei deren Entwicklung ist, dass sie in der Luftfahrt hohe Sicherheitsstandards hinsichtlich Gefrierpunkt, Energiedichte und Flammpunkt erfüllen müssen. Dennoch kann SAF kann bereits jetzt in den Triebwerken problemlos genutzt oder als drop-in-fuel beigemischt werden. Die aus Agrarrohstoffen wie zum Beispiel aus Jatropha oder anderen ölhaltigen Pflanzen stellt ebenfalls keine größere Herausforderung dar, darf aber auf keinen Fall in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion erfolgen. Deshalb konzentriert man sich gegenwärtig auf die Nutzung von pflanzlichen und industriellen Abfällen wie zum Beispiel Frittieröle und Fette, Holzreste und Sägemehl oder Biomasse mit einem entsprechenden Energiegehalt. Trotzdem liegen diese Treibstoffalternativen bei weitem noch nicht in größeren Mengen vor. So decken alle SAF gegenwärtig nur 0,01 Prozent der weltweiten Kerosinnachfrage. Ein weiterer Nachteil ist der immer noch deutlich höhere Preis und so lässt sich zum Beispiel die Lufthansa den Einsatz von Bio-Kerosin als Kompensationsmaßnahme von ihren Passagieren bezahlen.

PLASTIK UND POWER-TO-LIQUID
Auch Plastikabfälle können zu Treibstoffen werden: Durch Kunststoff-Pyrolyse ist es möglich, nicht-sortenreinen Plastikmüll in Treibstoff zu verwandeln. Das ist zwar weder „bio“ noch CO₂-neutral, aber zumindest wäre der Plastikmüll beseitigt. Ein vielversprechender Ansatz ist das aus Luft, Abfall-CO₂ und Strom gewonnene synthetische Kerosin. An dieser strombasierten Power-toLiquid-Technologie (PtL) arbeiten zahlreiche Forscher. Die weltweit erste Anlage für synthetisches Kerosin, die den Flugzeugkraftstoff im industriellen Maßstab synthetisch herstellen kann, wurde nach Angaben der Betreiber letztes Jahr bereits im nordwestdeutschen Emsland eingeweiht. Die neuartige Anlage produziert Kerosin synthetisch aus Wasser und Strom, den Windräder aus dem Umland liefern. Außerdem werden Abfall-CO₂ aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage sowie CO₂ aus der Umgebungsluft verwendet.

CO₂ + H2O + SONNE = STL – GOLDGRÄBERSTIMMUNG GARANTIERT
In einem Projekt in Spanien wird in Kooperation mit der ETH Zürich an Sun-to-liquid-Kerosin gearbeitet. Dazu braucht man nur Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid (CO₂). Wird das benötigte CO₂ vorher aus der Luft abgesaugt, sind die später bei der Verbrennung erzeugten Schadstoffe ausgeglichen. Der Kraftstoff ist damit klimaneutral. Mehr als 160 Spiegel fokussieren in der Anlage das Sonnenlicht auf einen Reaktor, der eine Temperatur von 1.500 Grad Celsius erreicht und mit Hilfe eines Katalysators ein synthetisches Gas erzeugt. Die Firma Synhelion, ein Spin Off der ETH, will noch in diesem Jahr in Jülich die erste Anlage zur industriellen Produktion von Solartreibstoff bauen, der dann ab 2023 im regulären Flugbetrieb eingesetzt werden soll. Ab 2026 müssen in Deutschland mindestens 0,5 Prozent des Flugkraftstoffes aus PtL-Kerosin bestehen. Dies entspricht jährlich rund 50.000 Tonnen und somit einem Vielfachen dessen, was die bisherigen Anlagen produzieren können. 2030 steigt die Beimischungsquote auf zwei Prozent. Diese Regelung schafft laut Bundesumweltministerium eine Absatzgarantie für neue Kraftstoffe und somit Investitionssicherheit für Unternehmen.

MIT WASSERSTOFF IN DIE LUFT GEHEN
Eine andere Möglichkeit des CO₂-freien Fliegens ist mit Wasserstoff. In 2020 hat Airbus drei Flugzeugmodelle vorgestellt, die bis 2035 zur Marktreife gebracht werden sollen. Statt Kerosin wird in den Turbinen Wasserstoff verbrannt, freigesetzt wird dabei kein CO₂, sondern Wasserdampf. Wasserstoff hat in flüssiger Form den Vorteil des geringeren Gewichts, aber den Nachteil des größeren Volumens gegenüber Kerosin, und er muss unter Druck und bei minus 253 Grad Celsius gelagert werden. Dafür sind spezielle Tanks notwendig, die ganz neue Flugzeugkonzeptionen erfordern. Sinnvoll ist diese Lösung nur, wenn mit grünem Wasserstoff geflogen wird, doch dafür sind die Produktionskapazitäten noch viel zu gering. Außerdem ist grüner Wasserstoff sehr teuer, da seine Herstellung einen hohen Energieaufwand erfordert. Zu berücksichtigen und noch genau zu untersuchen sind außerdem die genauen Auswirkungen des Wasserdampfs in der Atmosphäre, denn auch er trägt zum Treibhauseffekt bei. Statt der Verbrennung des Wasserstoffs in Flugzeugturbinen kann über Brennstoffzellen seine Umwandlung zu elektrischer Energie erfolgen. Vorteil der Brennstoffzelle ist ein höherer Wirkungsgrad, Nachteil das hohe Gewicht. Die HY4, eine Entwicklung des Herstellers H2FLY in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt und der Universität Ulm, absolviert mit diesem technologischen Ansatz bereits Testflüge. Es ist beabsichtigt, das bewährte Konzept der viersitzigen Maschine in Partnerschaft mit Deutsche Aircraft auf ein Regionalflugzeug für 40 Personen mit einer Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern zu skalieren. Dennoch benötigt das Fliegen mit Wasserstoff im großen Stil noch Zeit, da nicht nur die Fluggeräte, sondern auch die Infrastruktur am Boden entwickelt werden müssen.

FAZIT
Trotz begeisternder Konzepte wird der umweltbewusste Passagier noch längere Zeit mit „Flugscham“ leben und seinen Flug freiwillig CO₂-kompensieren müssen. Mit dem politischen Druck, die CO₂-Kompensation für alle Flugreisenden endlich verbindlich zu machen, wären das Ziel des klimafreundlicheren Fliegens schneller erreichbar und Passagiere rechtzeitig an Flugpreise mit Umweltkosten gewöhnt. Denn eines ist schon heute klar: Klimaneutrales wird deutlich teurer! Aber ein Fliegen ohne Klimaschutz kommt uns noch wesentlich teurer zu stehen. Innovationen und Verhaltensänderungen sind deshalb gefragter denn je.

ZUM AUTOR: Mathias Warlich hatte 30 Jahre Führungsaufgaben in der Versicherungs- und Rückversicherungswirtschaft. Seit 2019 ist er beratend im Nachhaltigkeitsmanagement tätig. Sein Ziel ist ein Wirtschaften, das den Erfolg an mehr als nur dem finanziellen Ertrag bemisst.

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11.10.2022   |  

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